5. Kammerkonzert

Transatlantische Bahnen

Steve Reich Mallet Quartet
Dmitri Schostakowitsch Sinfonie Nr. 15 (Bearb. von Viktor Derevianko)
 
Als Schostakowitsch 1970 nahe St. Petersburg todkrank seine letzte Sinfonie Nr. 15 schrieb, machte sich in New York der junge Minimalist Steve Reich gerade auf den Weg nach Ghana, um dort von vermeintlich „primitiven“ Kulturen das zu lernen, was die Kapazität westlicher Musikpraxis überstieg: die Kunst der Phasenverschiebung. Ganz im Sinne des von Reich mitbegründeten Minimalismus‘ ließ sich diese Musik auf bloßes Händeklatschen reduzieren. Eine Absage an Europas musikalische Hochkultur, die im 2. Weltkrieg mitimplodiert war. Tonhöhen sind in dieser rhythmischen Polyphonie Nebensache. In seinem Mallet Quartet fast 40 Jahre später bildet dieser perkussive Fokus noch immer die Grundlage von Reichs Arbeit – mit und ohne Tonhöhen.
Ein Schlagzeugarsenal blieb neben einem Streichtrio und Klavier übrig, als der Pianist Viktor Derevianko 1972 Schostakowitschs 15. Sinfonie auf ihre klangliche Essenz reduzierte. Derevianko lenkt den Blick auf den nackten Motor dieser Sinfonie: Schostakowitschs prägende Erlebnisse – Krieg und Terror – tauchen immer wieder in Form von unnachgiebigen, entmenschlichten Rhythmen in scharfen Klangfarben auf, die der fragilen, atmenden Streicherwelt gegenübersteht.
Reich und Schostakowitsch lebten in zwei völlig konträren Wirklichkeiten. Für beide aber war der Krieg eine Quelle, die diesen Wirklichkeiten ihre Gestalt gab.
 
Das Konzert findet im Rahmen von wirklich wirklich, dem Frühjahrsfestival der Staatsoper Stuttgart statt.