Iphigénie en Tauride

von Christoph Willibald Gluck
Oper in vier Akten
Libretto von Nicolas-François Guillard
in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
++1. Mai 2020 (17 Uhr) – 8. Mai 2020 (17 Uhr) als Video on Demand bei Oper trotz Corona++


Mord im Namen der Götter, Mord aus Rache, Rache für den Mord – diese Kette einander unaufhörlich zugefügter Gewalt scheint wie ein Naturgesetz: Die Familiengeschichte der Atriden ist über Generationen mit Blut geschrieben, ihr letztes Kapitel trägt den Namen Iphigénie. In ihrem Exil auf Tauris muss Iphigénie als Priesterin der Artemis alle Fremden opfern, die hier landen. Als ein traumatisierter Fremder auftaucht, der sie an ihren Bruder Oreste erinnert, stürzt sie das in Verzweiflung, schmerzhaftes Heimweh, Gewissensqualen. Gluck setzt diese innersten Konflikte überwältigend in Szene: als Unwetter, als Wüten der Erinnyen. In Krzysztof Warlikowskis Inszenierung liegen die traumatischen Ereignisse für Iphigénie in weiter Ferne. Der Vater, die Mutter, der geliebte Bruder, die eigene vom Krieg durchkreuzte Jugend – sie lösen sich immer wieder aus dem Nebel des Vergessens. Sie lassen nicht los, werden nicht losgelassen. Diese Iphigénie lebt Wand an Wand mit anderen Frauen, die ihre eigenen Geister mit sich herumtragen und sich in Gleichmut üben gegenüber allem, was in ihrem Leben leidvoll war – ein Chor der letzten Zeuginnen ihres eigenen Überdauerns wechselhafter und kriegerischer Zeiten.
Eine Produktion der Opéra national de Paris
Ort
Opernhaus
Dauer
I. + II. Akt: ca. 1 h 5 min
Pause: ca. 25 min
III. + IV. Akt: ca. 45 min
Uraufführung 1779 in Paris

Premiere dieser Produktion
28. April 2019
Altersempfehlung
ab Klasse 10
Handlung
Am Vorabend des Trojanischen Krieges: In Aulis versammeln sich die griechischen Armeen unter ihrem Oberbefehlshaber Agamemnon. Da der Wind ausbleibt, kann die Flotte nicht nach Troja segeln. Ein Seher rät Agamemnon, die Göttin Diana durch Opferung seiner ältesten Tochter zur Beendigung der Flaute zu bewegen. Agamemnon lässt Iphigenie aus der Heimat Mykene holen, unter dem Vorwand, sie an den Krieger Achill zu verheiraten. Die Mutter Klytemnästra gibt die Tochter frei. Die Braut landet auf dem Opferaltar, verliert dort das Bewusstsein und findet sich kurz darauf auf der fernen Halbinsel Tauris wieder: In letzter Sekunde hat die Göttin sie gegen eine Hirschkuh ausgetauscht. Agamemnon durchschneidet dem Tier die Kehle, im vollen Glauben, seine Tochter zu schlachten. Die Griechen bekommen Wind in die Segel. Der Krieg gegen Troja beginnt und dauert zehn Jahre. Viele Jahre später: In ihrem unfreiwilligen Exil dient Iphigenie an der Seite anderer griechischer Frauen als Priesterin im Tempel der Diana. Ihre Aufgabe ist es, im Namen der Göttin jeden Fremden zu opfern, der Tauris betritt. Ungeachtet der traumatischen Ereignisse in Aulis hat ihre Sehnsucht nach Heimat und Familie in all den Jahren nicht nachgelassen.

Erster Akt
Ein Unwetter bricht los. Die Priesterinnen flehen die Götter an, sie zu verschonen und endlich von der blutigen Aufgabe des Opferns zu entbinden. Auch als der Sturm sich legt, bleibt Iphigenie von Unruhe erfüllt. Erneut hat sie von ihrer Familie geträumt: von ihrem so zärtlichen wie unerbittlichen Vater. Von der Zerstörung ihres heimatlichen Palastes. Von ihrer Mutter, die den blutüberströmten Vater mit einem Messer verfolgt. Zuletzt von ihrem Bruder Orest, gegen den sie selbst das Messer erhebt. Iphigenie fürchtet zu wissen, was diese Träume bedeuten: Ihre Familie wird sie nie wiedersehen. Sie fleht die Göttin Diana um Erlösung durch einen baldigen Tod an. Thoas, Herrscher auf Tauris, drängt Iphigenie zu neuen Menschenopfern. Seit ihm ein Orakel verkündet hat, durch die Hand eines Fremden zu sterben, ist er von Todesangst getrieben. Ein Bote berichtet von der Gefangennahme zweier schiffbrüchiger Griechen. Thoas ordnet die Vorbereitung ihrer Opferung an.

Zweiter Akt
Die beiden Griechen liegen in Ketten. Es sind Iphigenies Bruder Orest und dessen Freund Pylades. Orest leidet unter schweren Schuldgefühlen: Er hat seine Mutter erschlagen. Auch wirft er sich vor, Pylades in Todesgefahr gebracht zu haben. Der versucht ihn zu trösten. Gemeinsam mit Orest zu sterben, wäre für ihn die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches. Die Wachen reißen die Freunde auseinander. Orest fällt erschöpft in den Schlaf und wird von den Rachegöttinnen heimgesucht: Wieder und wieder rufen sie ihm seinen Mord in Erinnerung. Die erschlagene Mutter erscheint ihm. Da erwacht er und erkennt, dass es die Priesterin ist, die seine Zelle betreten hat, um ihn nach seiner Herkunft zu befragen.
Als sie erfährt, dass der Gefangene wie sie aus Mykene stammt, quält sie ihn mit Fragen nach den Geschehnissen in seiner Heimat. Sie erfährt grausame Wahrheiten und eine Lüge: König Agamemnon wurde nach der Rückkehr aus dem Krieg durch seine Frau Klytemnästra getötet. Daraufhin rächte der Sohn Orest den Vater. Orest soll im Tod die ersehnte Erlösung gefunden haben. Iphigenie sieht ihre schlimmsten Ahnungen bestätigt: Ihre Familie ist ausgelöscht. Mit den anderen Frauen hält sie eine Trauerfeier für den toten Bruder ab.

Dritter Akt
Iphigenie spürt Zuneigung zu dem Griechen, der sie an ihren Bruder erinnert. Sie lässt beide Gefangenen vorführen und unterbreitet ihnen einen Plan: Einem von ihnen kann sie zur Flucht zu verhelfen. Er soll ihrer Schwester Elektra in Mykene eine Nachricht überbringen. Den anderen muss sie opfern. Die Freunde wetteifern darum, sterben zu dürfen, um den jeweils anderen gerettet zu sehen. Iphigenie zögert lange, bevor sie ausspricht, was sie längt entschieden hat: Sie gibt Orest die Freiheit. Der wirft Pylades vor, ihm die Erfüllung seines einzigen Wunsches vorzuenthalten: die Befreiung von seinen Schuldgefühlen im Tod. Er droht Iphigenie mit Selbstmord und erpresst so von ihr die Revision ihrer Entscheidung. Sie schenkt Pylades das Leben.

Vierter Akt
Iphigenie macht sich für das Opferritual bereit und versucht, jegliches Mitleid in sich auszulöschen. Auf dem Opferaltar klagt Orest um seine Schwester, die Jahre zuvor in Aulis auf ähnliche Weise ums Leben gekommen sein soll. Iphigenie erkennt unter dem Messer ihren Bruder. Sie tötet ihn nicht und weigert sich, weitere Opfer auszuführen. Thoas, dem Pylades Flucht gemeldet wird, fordert den Tod der Geschwister. Pylades stürmt den Schauplatz mit griechischen Soldaten und tötet Thoas. Erneut greift die Göttin Diana ein. Sie verhindert ein Massaker der Griechen an Thoas’ Volk und verkündet den Willen der Götter: Orest erlangt Entsühnung von seinem Muttermord. Er soll mit der Schwester nach Mykene zurückreisen. Man feiert in Jubelchören Frieden und Menschlichkeit.

„Ein fabelhafter Musiktheaterabend.“

„[Stefano] Montanari leitet das Orchester extrem elastisch, dynamisch äußerst differenziert, er trägt Latexhose und Stiefel, ein grandioser Spinner und Könner.“
Süddeutsche Zeitung
Egbert Tholl, 09.05.2019
„Iphigénie en Tauride“ wird zum Triumph: Der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski zeichnet Iphigénies Blutspur bis heute nach – mit einer genialen Grundidee, einem starken Ensemble und dem eminenten Dirigenten Stefano Montanari.
von Mirko Weber, Stuttgarter Zeitung
28.04.2019
Mehr dazu
Duett aus
„Iphigénie en Tauride“
von Mingjie Lei und
Johannes Kammler